Ein Hirnschlag hatte ihn aus der Bahn geworfen. Doch Ernst Aemisegger schaffte den Weg zurück. Dank seiner Liebe zu Oldtimer-Traktoren. Sie sind für ihn Therapie gewesen und haben ihm Boden gegeben.

«Die Traktoren haben mir geholfen.» Ernst Aemisegger in seinem Oldtimer-Park in Lutzenberg. (Bild: Max Eichenberger)

 

Traktoren haben für Ernst Aemis­egger kein Ablaufdatum – ab­gesehen davon, dass sie als Betriebsfahrzeuge auf Höfen, Äckern und an Hängen ohnehin um einiges länger im Einsatz stehen als Autos auf der Strasse fahren. Der gelernte Landmaschinenmechaniker, der in dieser Branche in Rheineck einen eigenen Betrieb geführt hatte, ehe ihn ein gesundheitlicher Rückschlag zurückband, hat sich ganz den bulligen und auch niedlichen ratternden Oldtimern verschrieben. Mindestens 25 Jahre alt müssen Traktoren sein, um als solche klassifiziert zu werden.

Keiner zu alt, um auf dem Schrottplatz zu landen, ist das Credo des Lutzenberger Traktoren-Flüsterers, der das mechanische Innenleben der traditionellsten aller landwirtschaftlichen Nutzfahrzeuge kennt wie kaum ein Zweiter. Das gilt für die Traktoren – und, wie er mit Hartnäckigkeit und Willen beweisen sollte, in verwandtem Sinne für ihn selber. Die «Oldtimerei» ist zur Leidenschaft des 58-Jährigen geworden, der vor sieben Jahren seinen Betrieb seinem jüngeren Bruder Jürg übergeben hatte. Nicht einfach so aus freien Stücken, vielmehr genötigt durch das Schicksal.

 

Plötzlich blieb ihm die Sprache weg

Der damalige Inhaber der Rhein- ecker Lantech hatte einen Hirnschlag erlitten und war rechtsseitig gelähmt. «Mit Sprachaussetzern hat es begonnen. Ich merkte, nachdem mir erneut die Sprache weggeblieben war, da stimmt etwas nicht», erzählt Ernst Aemisegger. Es ist eine lange Geschichte. Und er erzählt auch davon, wie er sich beharrlich zurückgekämpft hat. So wie er sich zuvor, nach der Scheidung, und später dem Krebs­- tod seiner Freundin habe aufrappeln müssen. «Ernst, das kann es nicht gewesen sein», habe er sich im Spitalbett gesagt, als gar nichts mehr gegangen war. «Die Traktoren waren für mich ein wichtiger Teil der Therapie», beschreibt Aemisegger mit funkelnden Augen die Spezifikationen der Oldtimer von der Hydraulikleistung bis zur letzten Schraubenmutter. Er kennt alles aus dem Effeff. Aemisegger restauriert nicht nur Traktoren und leitet in dieser Arbeit den ebenfalls begeisterungsfähigen Nachwuchs an; er vermittelt auch Oldtimer-Landmaschinen: «Wenn ich sehe, wie andere Freude daran haben, so macht das auch mir Freude. Es tut dem Gemüt gut.» Auch Bariton spielt er inzwischen wieder, obschon anfänglich wegen feinmotorischer Defizite die Finger noch nicht mitgemacht haben.

Wenn Ernst Aemisegger sieht, dass der erste Aebi TT77, den er verkauft hat, nach 36 Jahren auf demselben Hof der Familie Thoma in Walzenhausen noch immer mit dem Original-Motor seinen Dienst tut, dann frohlockt sein Herz. Der Traktoren-Doktor zückt das Handy und zeigt die Fotos. Er hat alles nicht nur im Kopf, sondern auch dokumentiert. «Bei den Traktoren kann mir keiner so schnell etwas vormachen, bei der alten Technik ­sowieso nicht. Das Spielfeld bei den neueren hingegen überlasse ich gern den jungen ‹Mechen›.» Aemisegger sagt das selbstzufrieden und ohne Spur von Überheblichkeit. Computermässig sei er «eher unteres Niveau», gesteht er. Und weiss, ganz unsentimental: Der digitale Diagnostiker wird auch die Zukunft im Landmaschinensektor sein.

Die Oldtimerszene wächst und wächst

Der Mann mit Herzblut für Traktoren älteren Jahrgangs beobachtet mit Stolz den wachsenden Anteil der Landmaschinen in der Oldtimerszene: «Bei den Arbon Classics habe ich noch nie so viele Landmaschinen gesehen wie in diesem Jahr.» Viele Besitzer tickten so wie er.Der 58-Jährige ist auf Achse, die Agenda vollgeschrieben mit Daten von Oldtimertreffen, die er nach Möglichkeit alle besucht. So auch jenen Oldie-Treff in Brunn­adern von vergangenem Sonntag.

An diesen tauscht man sich unter seinesgleichen aus, erweitert sein Netzwerk, knüpft neue Bekanntschaften. Gerade klingelt das Smartphone. Wieder eine Herausforderung. Ernst ­Aemisegger kann jemandem, mit dem er vor acht Tagen bei einem Oldie-Stelldichein bei Samstagern ins Gespräch gekommen ist, weiterhelfen. Ein Strahlen überzieht sein Gesicht. Eine junge Bündnerin, die ihn wegen seines in der Hemdentasche eingesteckten Kugelschreibers mit dem Massey-Ferguson-Schriftzug angesprochen hatte, will von Aemis­egger einen Allradantrieb in ihre Kultmaschine einbauen lassen. Aemisegger sagt lachend: «Da geht dann aber die Post ab!»

Familie und Traktoren haben geholfen

Ernst Aemisegger erzählt von seinem Schlüsselerlebnis, das in ihm das Restaurationsfieber entfacht und ihn in ein aktives Le­- ben zurückgebracht hat: Auslöser war ein Traktor, den sein Besitzer wegen eines Brandschadens verschrotten wollte. Ernst Aemisegger hat das Gefährt mit viel Geduld wieder aufgepäppelt – und sich später nach dem Hirnschlag auch, und zwar mit viel Willen, Disziplin und Liebe zu den Traktoren auch. «Das hat mir geholfen. Und die Familie. Dieses Umfeld trägt mich», zeigt er sich mitten in seiner Oltdimer-Sammlung im Garten in Lutzenberg dankbar.